Christina Wendenburg: Paula Schmidt – Die Alchemie der Materialien

Pulverisierte Erde in rostroter bis ockerfarbener oder schwarzverkohlter Beschaffenheit scheint den Werken von Paula Schmidt in wohldosierten Anteilen beigemischt zu sein. Nach einem Arbeitsaufenthalt in Mallorca ließ sich die Künstlerin von der Macht der Naturtöne inspirieren und schuf eindrucksvolle Materialcollagen mit vielfältigen Scraffitto-Effekten.

Die geheime Rezeptur ihrer harmonischen und ungewöhnlichen Kompositionen stellt einen mystischen und eindringlichen Klang her, der die Reise ihrer schmalen, stelenhaften und oft nur grob umrissenen Leitfigur durch Zeit und Raum untermalt.

Die Werkzeuge der Künstlerin sind neben Pinsel und Leinwand auch Drahtbürste, Meißel, Schere und Papier, Fetzen und Streifen von Mullstoff. Ihre auf die Leinwand gebannten Figuren werden mit Fadenkreuzen, Rastern, Punktesystemen und abstrakten Lineaturen eingesponnen. Zuletzt scheinen die Farbschichten nocheinmal mit magischen Texturen aufgerauht oder geschabt und zerkratzt worden zu sein.

Im Wirbel eines phantasievoll geschaffenen Universums aus diesen fremden Zeichen und Symbolen wirkt die Malerei Paula Schmidts als Botschaft zwischen den Zeiten: die Vergangenheit bewahrend, Gegenwärtiges schemenhaft beschwörend und doch prophetenhaft die Zukunft weisend. Dabei entwirft sie den Bildraum als dichte Schichtung von Farbebenen, die die kontrastierende Figur unterlegen und in einer sinnlich erfahrbaren Materialschicht bergen.

Im Diptychon “Zwischenwelten” wird der Hell-Dunkel-Kontrast von schattenhaften Wesen in einer Welt aus versteinerten und tief in die Leinwand geprägten Spuren zu Versteinerungen, Sedimentationen und Überlagerungen. Das Individuum ist orakelhaft mit seiner natürlichen Umgebung verschmolzen und beherrscht sämtliche Gegensätze: vom polarhaften, milchigweiß gepuderten Bildhorizont bis zur warmen höhlenartigen Raumtiefe.

Die Wesen der Paula Schmidt sind auf Geborgenheit und Unabhängigkeit gepolt, wann sie ihre Behausung endgültig verlassen, bleibt ihnen vorbehalten.

Christina Wendenburg
Berlin, 8.9.1994

Elfie Kreis: Ausstellung Paula Schmidt in der Galerie Lietzow

Im Parterre der Galerie Lietzow präsentiert Paula Schmidt schwebende Balanceakte zwischen Zeichnung und Malerei, Bildkompositionen, in denen vielfach Grenzüberschreitungen ihren Ausdruck finden. Der Pinsel führt zuweilen zeichnerische Linien aus, in Ölkreide entstehen dagegen malerische Farbflächen. Von pastellen Beige-, Blaugrau- und Weißtönen heben sich Schwarz und aktzentuiert eingesetzte Primärfarben wie Gelb, Blau in Kombination mit Rot.

In nahezu grafischen Hell-Dunkel-Wertigkeiten schafft sie lichte Struktur- und Architekturräume, durchsetzt von zeichenhaften Chiffren, archaischen oder archetypischen Symbolen. In offener Linienführung entworfene, schematisierte Menschenfiguren – vielfach bleibt dabei ein Stück Leinwand um die Figur herum unbearbeitet – legen vor dem Betrachter ihr Innenleben bloß. Mit wenigen Strichen skizziert Paulá Schmidt die Rippen des Brustkorbs in der Art von Fischgräten, den Bauchbereich als Mäander. Wie Camus’ “Fußgänger der Luft” schreiten Grenzgänger durch transparente Bildregionen jenseits von konkreten Zeiten und Räumen.

Das Kompositionsprinzip ihrer gegeneinander verschobenen Bildebenen basiert auf der Diagonalen, Leitern und Wege oder ein Hirsch im Sprung schaffen übergreifende Verbindungen. Im Nebeneinander von Negativ und Positiv, Schwarz und Weiß, Licht und Schatten entsteht zur Welt eine antipodische Gegenwelt, verkörpern figürliche Gegensatzpaare von Einhörnern männliches  und weibliches Prinzip, Vergangenheit und Gegenwart, Fantasie und Realität verschmelzen zu einem von Jägern und Tieren bevölkerten überzeitlichen Niemandsland.

Elfie Kreis
(Galerie Lietzow, Ausstellung Paula Schmidt)

Der Tagesspiegel / Feuilleton, Donnerstag, 6. August 1987