Ausstellung “Strömung” in der Galerie Abakus

Galerie Abakus, Ausstellung Paula Schmidt 2009

Galerie Abakus, Ausstellung Paula Schmidt 2009

Jo Eckhardt: Mit neuen Arbeiten setzt Paula Schmidt ihren künstlerischen Weg als Malerin konzentriert und kraftvoll fort, erweitert ihre Bildwelt, entdeckt neue Horizonte künstlerischen Ausdrucks in freier Verknüpfung imaginierter Zeichen und Gestalten.
Abstrahierende figürliche Darstellung lässt sie hinter sich, wendet sich reiner Form und elementarer Textur zu. Zwischen der Wirklichkeit und dem Denken stehen Linien und Zeichen.

„Die Malerei hat immer abstrahiert.
Realität in der Malerei gibt es nicht; sie existiert im Kopf des Betrachters. Kunst ist ein Zeichen, das die Realität in unserer geistigen Vorstellung wachruft. So sehe ich keinen Gegensatz zwischen Abstraktion und Figuration, solange sie jene Idee von Wirklichkeit in uns evozieren. Die Realität, die das Auge uns zeigt, ist nur ein armseliger Schatten der Wirklichkeit“ (Antoni Tapies,1955).

Die Ausstellung, der die Künstlerin selbst den Namen „Strömung“ gegeben hat, öffnet ein neues Kapitel im Oeuvre von Paula Schmidt – keine Abkehr vom bisherigen Inhalt oder Stil, sondern eine logische Fortsetzung mit neuen Themen und Perspektiven.

Wir sehen keine beliebigen Ornamente, sondern Elemente des ewigen Werdens und Vergehens. Die Linien kommen aus dem Nichts und verlieren sich in der Unendlichkeit. Nur ein Ausschnitt aus dem Kontinent des Lebens wird gezeigt. Und wir werden darauf verwiesen, was davor liegt und was danach sein wird. Gegenwart erscheint als Durchgang zur Zukunft. Was scheinbar abstrakt als gemaltes Bild vor unsere Augen tritt, erscheint in den Überlagerungen und Verflechtungen ganz konkret als Bauplan von Zellen eines Organismus. In entschiedener Deutlichkeit und mit kräftigem Strich fließen die vegetativen Lebenslinien ineinander, gleiten durch den Raum und verändern sich unmerklich durch wechselnde Konstellationen. Heutige molekulare Biologie bestätigt mit dem mikroskopischen Blick in das Innerste, was antike Philosophie bereits formulierte:
Alles fließt – panta rhei.
Das Sein ist das Werden des Ganzen.
Alles Lebendige befindet sich in einem fortwährenden Prozess der Verwandlung von Stoff und Form: „Alles fließt und nichts bleibt. Es gibt nur ein ewiges Werden und Wandeln“ (Platon).
Kontinuität ist eine Eigenschaft menschlichen Geistes. Kontakte mit der Vergangenheit und mit der Zukunft, das Verlangen nach Verbindung gehört zum menschlichen Wesen; die Linearität symbolisiert diese Verbindung. Die Kunst dringt in solche Tiefen menschlicher Erfahrung ein, abgebildet in magischen Zeichen. Linien sind elementarer Ausdruck solcher metaphysischen Zusammenhänge auf der Suche nach den Wurzeln und den Ursprüngen. Bilder der Kunst werden zu Markierungen an der Grenze zwischen der Erinnerung an Vergangenes und der Erahnung des Kommenden; sie werden zu Wunschbildern des erfüllten Augenblicks.

Blicken wir in die innere Seite unserer Hand, sehen wir auch dort Linien, die sich verschränken und überlagern. Die Grafik der Hand ist ein besonders unverwechselbar ausgestattetes Merkmal des Menschen. Die Physiognomie der Hände soll seelische und physische Eigenschaften des Individuums spiegeln und zugleich den Kosmos abbilden, in dem der Mensch lebt. In der Antike und in frühen Kulturen wurden aus dem Ablesen der Handlinien Rückschlüsse gezogen auf Gesundheit, Charakter, Schicksal, kommende Ereignisse, Lebenslauf und -ende.

Paula Schmidts Linearkunst weist unbewusst durchaus archetypische Züge auf, ohne sich jedoch auf irgendwelche Vorbilder zu beziehen. Gleichwohl ergeben sich für den Betrachter Anklänge an die frühe Linienbandkeramik, die zu den ursprünglichsten Zeugnissen aus den Anfängen der Kultur auf dem Wege zur sesshaften bäuerlichen Gesellschaft und Lebensweise gehört.

In ihren neuen Arbeiten dominieren zwar grafische Elemente und Grundformen wie Verbindungen von Linienführungen, Verschränkungen, Verflechtungen und Durchdringungen, einfache und urtümliche Zeichen wie Kreuz, Kreis, Block oder Loch. Auch die Farbe spielt eine entscheidende Rolle. Sie temperiert die Emotionen und schafft Räumlichkeit.

Das Fließende, Ineinandergleitende und sich stetig Wandelnde gehört zum Wesen polyphoner musikalischer Strukturen. In der Verschränkung eigenständiger musikalischer Linien vermählen sich Konstruktion und Klang. Insofern stellt sich bei Betrachtung dieser neuen Bilder Paula Schmidts wie selbstverständlich eine Nähe zur Musik ein. Ihre jüngsten Werke atmen in rhythmischer Bewegung kontrapunktisch verschlungener Kurven und Konturen. Die Gemälde erscheinen auch wie Notationen musikalischer Verläufe, wie Aufzeichnungen von Klängen.
Malerei wird zu tönender Form im Strom der Zeit.
Die Ausstellung hat also den zutreffenden Titel: STRÖMUNG.

Ausstellung Paula Schmidt 2009 – Galerie Abakus / Jo Eckhardt – Berlin

 

Birgit Spanier: Paula Schmidt – Wege. Spuren

Verschiedene Positionen europäischer Kunst versucht eine sechsteilige Ausstellungsreihe auszumachen, die 1999 unter dem Titel „Das Gewicht der Sterne” in den Räumen der Weimarer Kulturdirektion (Trierer Straße 63) zu sehen ist. Mit seinem „Weimarer Fries” zeigte in der ersten Exposition Javis Lauva seine künstlerische Sicht auf die europäische Kulturstadt. Vom 11. März bis zum 30. April sind nun Arbeiten der Berliner Künstlerin Paula Schmidt zu sehen.

Positionen haben im allgemeinen etwas Statisches. Sie sind durch Orte, Haltungen, Ämter definiert, die erreicht und eingenommen werden. Künstlerische Positionsbestimmungen entstehen in einem Koordinatensystem biografischer Ereignisse, subjektiver Wirklichkeitserfahrungen und existentieller Befindlichkeiten. Durch die Eigendynamik künstlerischer Prozesse werden sie permanent hinterfragt und erhalten somit wechselnde Gestalt und Richtung.

Paula Schmidt, 1954 in Mainz geboren, lebt und arbeitet in Berlin, seit einem halben Jahr auch in Weimar. Hier, in überschaubarer Dimension, die die Großstadt so verdichtet in Anfang und Ende nicht hat, nähert sie sich diesem Ort auf Wegen und folgt hinterlassenen Spuren. Ausgangspunkte und Linienverläufe von Straßen und Gassen lassen sie einen Organismus erkennen, der ein Herz hat, Haupt und Nebenadern, der gefährdende Gerinnsel ausbildet, die sich ausweiten können. Spuren vergangenen Lebens darunter werden erahnbar, durch benutzte Straßenadern, mit ihren Verästelungen und Wurzeln, sind Schichtungen überdeckt, die früher Leben transportierten. Dem Künstlichen und Unwirklichen, den extremen Gegensätzlichkeiten, die diese Stadt geprägt haben und prägen, muß man sich hier stellen, sagt sie.

Während ihres Studiums an der Hochschule der Künste Berlin, begann Paula Schmidt erfolgreich mit Illustrationen für Kinderbücher, kunsttherapeutische und -pädagogische Tätigkeiten folgten. Sie arbeitete als Grafikerin bei der Frauenzeitschrift „Courage”. bis Ende der achtziger Jahre auch als Grafikdesignerin.

In ihren frühen Gemälden werden silhouettenhaft gezeichnete menschliche Figuren in geschlossenen Bildräumen beschützt und begrenzt; symbolhafte Zitate verweisen additiv auf existentielle Fragestellungen. Erdige, warme Farben sind in ihren Arbeiten bis heute erhalten, kräftiges Rot, kieselgraue und blaue Töne haben die Palette erweitert. Im Verlauf der 90er Jahre begann sie zunehmend Farbgrundierungen übereinander zu schichten, Farben mit Sand und Erde zu mischen; durch Kratzen und Ritzen erhielten Oberflächen Spuren, Verletzungen, Tiefe.Menschliche Figuren finden sich nun als energetische Wesen, zerbrechlich und flüchtig, in gedankliche und bildliche Beziehungsebenen eingewoben.

Ihren jüngsten Arbeiten ist die menschliche Gestalt abhanden gekommen oder hat sich in die Linien, die sich manchmal zu Transportbahnen auswachsen, in Punkte, Spiralen, verdichtete Energiefelder und Quellpunkte zurückverwandelt, die jetzt von den Bildräumen Besitz ergriffen haben. Mich fasziniert der unerschöpflich anmutende, kraftvoll und spielerisch zugleich dargebotene Formenreichtum, der assoziativ Zusammenhänge zwischen organischer und anorganischer Natur, zwischen Mikro- und Makrokosmos erleben läßt und von einer Balance der Naturkräfte erzählt. Neuronale Netze, Schnitte durch Körpergewebe, wie durch das Mikroskop betrachtet, in einem spannungsgeladenen Moment eingefangen und fortsetztbar, scheinen auf kosmische Konstellationen zu antworten. Kopien belebter und unbelebter Natur jedoch finden sich nicht, Linien und Kreise stellen sich selbst dar und genügen in ihrem Wachstum und ihrer Begrenzung den Bildgesetzen. Farben differenzieren, schaffen Konturen und Raum.

Birgit Spanier, 1999

Christina Wendenburg: Paula Schmidt – Die Alchemie der Materialien

Pulverisierte Erde in rostroter bis ockerfarbener oder schwarzverkohlter Beschaffenheit scheint den Werken von Paula Schmidt in wohldosierten Anteilen beigemischt zu sein. Nach einem Arbeitsaufenthalt in Mallorca ließ sich die Künstlerin von der Macht der Naturtöne inspirieren und schuf eindrucksvolle Materialcollagen mit vielfältigen Scraffitto-Effekten.

Die geheime Rezeptur ihrer harmonischen und ungewöhnlichen Kompositionen stellt einen mystischen und eindringlichen Klang her, der die Reise ihrer schmalen, stelenhaften und oft nur grob umrissenen Leitfigur durch Zeit und Raum untermalt.

Die Werkzeuge der Künstlerin sind neben Pinsel und Leinwand auch Drahtbürste, Meißel, Schere und Papier, Fetzen und Streifen von Mullstoff. Ihre auf die Leinwand gebannten Figuren werden mit Fadenkreuzen, Rastern, Punktesystemen und abstrakten Lineaturen eingesponnen. Zuletzt scheinen die Farbschichten nocheinmal mit magischen Texturen aufgerauht oder geschabt und zerkratzt worden zu sein.

Im Wirbel eines phantasievoll geschaffenen Universums aus diesen fremden Zeichen und Symbolen wirkt die Malerei Paula Schmidts als Botschaft zwischen den Zeiten: die Vergangenheit bewahrend, Gegenwärtiges schemenhaft beschwörend und doch prophetenhaft die Zukunft weisend. Dabei entwirft sie den Bildraum als dichte Schichtung von Farbebenen, die die kontrastierende Figur unterlegen und in einer sinnlich erfahrbaren Materialschicht bergen.

Im Diptychon “Zwischenwelten” wird der Hell-Dunkel-Kontrast von schattenhaften Wesen in einer Welt aus versteinerten und tief in die Leinwand geprägten Spuren zu Versteinerungen, Sedimentationen und Überlagerungen. Das Individuum ist orakelhaft mit seiner natürlichen Umgebung verschmolzen und beherrscht sämtliche Gegensätze: vom polarhaften, milchigweiß gepuderten Bildhorizont bis zur warmen höhlenartigen Raumtiefe.

Die Wesen der Paula Schmidt sind auf Geborgenheit und Unabhängigkeit gepolt, wann sie ihre Behausung endgültig verlassen, bleibt ihnen vorbehalten.

Christina Wendenburg
Berlin, 8.9.1994

Elfie Kreis: Ausstellung Paula Schmidt in der Galerie Lietzow

Im Parterre der Galerie Lietzow präsentiert Paula Schmidt schwebende Balanceakte zwischen Zeichnung und Malerei, Bildkompositionen, in denen vielfach Grenzüberschreitungen ihren Ausdruck finden. Der Pinsel führt zuweilen zeichnerische Linien aus, in Ölkreide entstehen dagegen malerische Farbflächen. Von pastellen Beige-, Blaugrau- und Weißtönen heben sich Schwarz und aktzentuiert eingesetzte Primärfarben wie Gelb, Blau in Kombination mit Rot.

In nahezu grafischen Hell-Dunkel-Wertigkeiten schafft sie lichte Struktur- und Architekturräume, durchsetzt von zeichenhaften Chiffren, archaischen oder archetypischen Symbolen. In offener Linienführung entworfene, schematisierte Menschenfiguren – vielfach bleibt dabei ein Stück Leinwand um die Figur herum unbearbeitet – legen vor dem Betrachter ihr Innenleben bloß. Mit wenigen Strichen skizziert Paulá Schmidt die Rippen des Brustkorbs in der Art von Fischgräten, den Bauchbereich als Mäander. Wie Camus’ “Fußgänger der Luft” schreiten Grenzgänger durch transparente Bildregionen jenseits von konkreten Zeiten und Räumen.

Das Kompositionsprinzip ihrer gegeneinander verschobenen Bildebenen basiert auf der Diagonalen, Leitern und Wege oder ein Hirsch im Sprung schaffen übergreifende Verbindungen. Im Nebeneinander von Negativ und Positiv, Schwarz und Weiß, Licht und Schatten entsteht zur Welt eine antipodische Gegenwelt, verkörpern figürliche Gegensatzpaare von Einhörnern männliches  und weibliches Prinzip, Vergangenheit und Gegenwart, Fantasie und Realität verschmelzen zu einem von Jägern und Tieren bevölkerten überzeitlichen Niemandsland.

Elfie Kreis
(Galerie Lietzow, Ausstellung Paula Schmidt)

Der Tagesspiegel / Feuilleton, Donnerstag, 6. August 1987