Verschiedene Positionen europäischer Kunst versucht eine sechsteilige Ausstellungsreihe auszumachen, die 1999 unter dem Titel „Das Gewicht der Sterne” in den Räumen der Weimarer Kulturdirektion (Trierer Straße 63) zu sehen ist. Mit seinem „Weimarer Fries” zeigte in der ersten Exposition Javis Lauva seine künstlerische Sicht auf die europäische Kulturstadt. Vom 11. März bis zum 30. April sind nun Arbeiten der Berliner Künstlerin Paula Schmidt zu sehen.
Positionen haben im allgemeinen etwas Statisches. Sie sind durch Orte, Haltungen, Ämter definiert, die erreicht und eingenommen werden. Künstlerische Positionsbestimmungen entstehen in einem Koordinatensystem biografischer Ereignisse, subjektiver Wirklichkeitserfahrungen und existentieller Befindlichkeiten. Durch die Eigendynamik künstlerischer Prozesse werden sie permanent hinterfragt und erhalten somit wechselnde Gestalt und Richtung.
Paula Schmidt, 1954 in Mainz geboren, lebt und arbeitet in Berlin, seit einem halben Jahr auch in Weimar. Hier, in überschaubarer Dimension, die die Großstadt so verdichtet in Anfang und Ende nicht hat, nähert sie sich diesem Ort auf Wegen und folgt hinterlassenen Spuren. Ausgangspunkte und Linienverläufe von Straßen und Gassen lassen sie einen Organismus erkennen, der ein Herz hat, Haupt und Nebenadern, der gefährdende Gerinnsel ausbildet, die sich ausweiten können. Spuren vergangenen Lebens darunter werden erahnbar, durch benutzte Straßenadern, mit ihren Verästelungen und Wurzeln, sind Schichtungen überdeckt, die früher Leben transportierten. Dem Künstlichen und Unwirklichen, den extremen Gegensätzlichkeiten, die diese Stadt geprägt haben und prägen, muß man sich hier stellen, sagt sie.
Während ihres Studiums an der Hochschule der Künste Berlin, begann Paula Schmidt erfolgreich mit Illustrationen für Kinderbücher, kunsttherapeutische und -pädagogische Tätigkeiten folgten. Sie arbeitete als Grafikerin bei der Frauenzeitschrift „Courage”. bis Ende der achtziger Jahre auch als Grafikdesignerin.
In ihren frühen Gemälden werden silhouettenhaft gezeichnete menschliche Figuren in geschlossenen Bildräumen beschützt und begrenzt; symbolhafte Zitate verweisen additiv auf existentielle Fragestellungen. Erdige, warme Farben sind in ihren Arbeiten bis heute erhalten, kräftiges Rot, kieselgraue und blaue Töne haben die Palette erweitert. Im Verlauf der 90er Jahre begann sie zunehmend Farbgrundierungen übereinander zu schichten, Farben mit Sand und Erde zu mischen; durch Kratzen und Ritzen erhielten Oberflächen Spuren, Verletzungen, Tiefe.Menschliche Figuren finden sich nun als energetische Wesen, zerbrechlich und flüchtig, in gedankliche und bildliche Beziehungsebenen eingewoben.
Ihren jüngsten Arbeiten ist die menschliche Gestalt abhanden gekommen oder hat sich in die Linien, die sich manchmal zu Transportbahnen auswachsen, in Punkte, Spiralen, verdichtete Energiefelder und Quellpunkte zurückverwandelt, die jetzt von den Bildräumen Besitz ergriffen haben. Mich fasziniert der unerschöpflich anmutende, kraftvoll und spielerisch zugleich dargebotene Formenreichtum, der assoziativ Zusammenhänge zwischen organischer und anorganischer Natur, zwischen Mikro- und Makrokosmos erleben läßt und von einer Balance der Naturkräfte erzählt. Neuronale Netze, Schnitte durch Körpergewebe, wie durch das Mikroskop betrachtet, in einem spannungsgeladenen Moment eingefangen und fortsetztbar, scheinen auf kosmische Konstellationen zu antworten. Kopien belebter und unbelebter Natur jedoch finden sich nicht, Linien und Kreise stellen sich selbst dar und genügen in ihrem Wachstum und ihrer Begrenzung den Bildgesetzen. Farben differenzieren, schaffen Konturen und Raum.
Birgit Spanier, 1999